Inflation? Stagflation!
Von Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der auf Risikomanagement spezialisierten Quant.Capital Management GmbH
Die Inflation ist auf Dauer zurück. Doch während die Preise steigen, sinken die Wachstumsraten. Dieser üblen Kombination aus hoher Inflation und niedrigem Wirtschaftswachstum haben die Staaten kaum noch etwas entgegenzusetzen.
Die derzeitige Datenlage spricht recht deutlich für weiter hohe oder sogar zunehmende Inflationsraten. Noch immer steigen die Energiepreise, Importpreise und Erzeugerpreise rasant an. Bis sich diese Preiserhöhungen vollständig in den Verbraucherpreisen widerspiegeln, dürften auch noch einige Monate vergehen. Entsprechend wird uns die aktuelle Phase hoher Inflation noch eine ganze Zeit begleiten. Der von vielen Marktbeobachtern vermutete Basiseffekt, der zu einem baldigen deutlichen Rückgang der Inflationsraten führen sollte, ist nicht zu sehen.
Dazu kommt, dass langsam aber sicher nun auch die Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt: Erste Tarifabschlüsse über 4,7 Prozent im Handel sowie sichtbare Anpassungen der arbeitnehmerseitigen Forderungen in den laufenden Tarifrunden deuten darauf hin, dass die Tarifrunden mit höheren Lohnforderungen einhergehen werden als in den vergleichsweise moderaten Vorjahren. Diese wird die hohen Inflationsraten bis weit in das kommende Jahr tragen – womöglich noch länger.
Das Problem: Zur Stärke der Inflation gesellt sich eine zunehmende Schwäche der Konjunktur. Die Automobilbranche in Deutschland meldete für September einen Rückgang der Neuzulassungen über das Jahr von knapp 26 Prozent. Auch der Rückgang der Arbeitslosenquoten, über die vergangenen Monate verlässlicher Indikator der wirtschaftlichen Erholung in der Eurozone, kam zuletzt zum Erliegen. Und mehr noch: die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe gingen im August binnen Monatsfrist um 7,7 Prozent zurück. Abgesehen von der wirtschaftlichen Vollbremsung im März und April 2020 ist das der größte Rückgang innerhalb eines Monats in den vergangenen 30 Jahren. Zugleich waren auch die Umsätze im verarbeitenden Gewerbe im August mit minus 5,9 Prozent stark rückläufig.
Das Wirtschaftswachstum in China, welches in den vergangenen Jahren ein stabiler Wachstumsmotor für die Weltwirtschaft war, kommt gerade ins Stottern. Die wirtschaftliche Verlangsamung infolge der Energieknappheit in China entfaltet bereits ihre bremsende Wirkung. In etwa der Hälfte aller Provinzen wurden zeitweilig Einschränkungen der Stromproduktion eingeführt, mit der Folge, dass Unternehmen weniger produzieren konnten. Die Effekte zeigen sich u.a. bereits bei den Frachtraten zwischen China und der US-Westküste. Nach zuletzt starkem Anstieg aufgrund der hohen Aufholungsnachfrage im Westen, gingen diese Anfang Oktober innerhalb weniger Tage um fast die Hälfte zurück. Merke: Wo weniger Waren produziert werden, können auch nur weniger Waren exportiert werden.
Wenn die Produktionsbremsen in China nicht bald behoben werden können, droht uns zum Weihnachstgeschäft ein explosives Problem: Bei einer reduzierten Auswahl und längeren Lieferfristen, droht ein weiterer deutlicher Preisschub bei Konsumgütern!
Diese Kombination aus anhaltend hoher Inflation und steigendem Gegenwind für das Wirtschaftswachstum lässt das Risiko einer Stagflation in Deutschland, aber auch im Euroraum, konkrete Formen annehmen. Stagflation, als Kombination aus hohen Inflationsraten und stagnierendem Wirtschaftswachstum, wäre derzeit besonders problematisch. Die Politik hat in den vergangenen Jahren mit ihren Mitteln der Fiskal- und Geldpolitik gewuchert. Die Effektivität dieser Maßnahmen scheint deshalb rückläufig zu sein. Als Folge hat die Politik nun immer weniger Mittel, das Wachstum gezielt wieder in Gang zu bringen. Der strukturpolitische Reformstau wird sich durch Reformen auch nicht kurzfristig abbauen lassen. Wo die Haushalte angespannt sind, die Geldpolitik kaum noch Wirkung entfaltet und Strukturreformen zu lange dauern würden, ist davon auszugehen, dass in diesem Falle die Spirale der Staatsverschuldung noch einmal an Fahrt aufnehmen dürfte.
Die sich so ergebenden Probleme sind vielschichtig: Unternehmen werden die von vielen Analysten unterstellten und im Markt eingepreisten Wachstumsraten real nicht liefern können. Die Inflationsraten sind immer noch höher als die Lohnzuwächse mit negativen Folgen für die Kaufkraft der Konsumenten. Anleiheinvestoren werden zum Inflationsausgleich steigende Renditen fordern. Die EZB wird sich schwer damit tun, in diesem Spannungsverhältnis zwischen steigenden Marktrenditen auf der einen Seite und wegen der ausufernden Staatsverschuldung weiterhin notwendiger Niedrigzinsphase auf der anderen Seite, immer die passenden Entscheidungen zu treffen. Die Risiken dürften sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen im kommenden Jahr sichtbar ansteigen.
Immerhin, gibt es für Verbraucher in diesem Umfeld eine klare Empfehlung: Beginnen Sie schon jetzt mit dem Kauf der Weihnachtsgeschenke! Oder nutzen Sie die Gelegenheit, planen Sie in diesem Jahr mehr Selbstgebasteltes und Geschenke aus heimischem Handwerk.