Auf Lagardes Flügeln: Der neue „Markt“

 In Allgemein

Von Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der auf Risikomanagement spezialisierten Quant.Capital Management GmbH

Die Renditen von Staatsanleihen in der Eurozone sinken im Eiltempo. Vor allem die wirtschaftlich angeschlagenen Staaten verzeichnen Rekord-Tiefstände. Der Trend ist zwar schon eine Weile zu beobachten, dank der jüngsten Äußerungen von Christine Lagarde nimmt er deutlich an Fahrt auf. Die Chefin der EZB verkündete bei der EZB-Pressekonferenz am 10. Dezember 2020 die Fortführung der bestehenden ultra-lockeren Geldpolitik. Damit dürfte sich auch die aktuelle Entwicklung, wie sie der Zins-Tracker dokumentiert, auf absehbare Zeit fortsetzen.

Zum Beginn der vergangenen Woche (7. Dezember 2020) fielen die Renditen 10-jähriger Anleihen aus Portugal zum ersten Mal unter die psychologisch wichtige Marke von null Prozent. Wir nehmen positiv auf, dass Portugal zu jenen Krisenstaaten der Eurozone gehört, die sich sehr stark darum bemüht hatten, ihren Haushalt und ihre Verschuldung nach der Eurokrise nachhaltig unter Kontrolle zu bringen. Der Verschuldungsgrad war in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Die Corona-Krise macht nun viele dieser Anstrengungen zunichte. Der Verschuldungsgrad ist gerade dabei wieder über 130% relativ zum BIP zu klettern und dürfte 2021 irgendwo zwischen 135% und 140% liegen. Bei solchen Zahlen ist eine 10-Jahres-Rendite unter null schon außergewöhnlich.

Wie wir an den Daten des Zins-Tracker erkennen, schrumpft die Anzahl der Euroländer, die über zehn Jahre überhaupt noch nominal positive Renditen bringen, damit auf Griechenland und Italien zusammen. Für Investoren, die auf positive Renditen angewiesen sind, wird die Auswahl ausgesprochen dünn.

Besonders interessant wurden die vergangenen Tage aber dadurch, dass an mehreren Tagen fast die kompletten Zinskurven einiger Staaten gleichzeitig neue Rekorde markierten. Portugal und Italien gelang dies sogar mehr als einmal. Wie soll man einen Markt charakterisieren, in dem nahezu komplette Zinskurven von Tag zu Tag neue Rekordtiefs markieren? Noch dazu während einer Zeit extremer Neuverschuldung? Irrational, ineffizient oder vielleicht inkonsistent?

Nennen wir ihn doch einfach einen „Markt“!

Ja, das mit dem Anführungszeichen ist so gemeint. Genau „so“. (Gibt es eigentlich noch den Begriff der Gänsefüßchen?) Auf der anderen Seite, und wir wollen diese Möglichkeit nicht unterschlagen, könnte die ausgesprochene Breite der Bewegungen auch ein Indiz dafür sein, dass eine entsprechend breite Masse aus ganz unterschiedlichen Investorengruppen in die gleiche Richtung läuft. Möglich.

Immerhin trägt der politische Wille, der hinter dem Handeln der EZB steckt seine Früchte. Die sinkenden Renditen sind gut für die Staaten, deren Schuldenberge im Zuge der Coronakrise rasant ansteigen. Investoren werden dafür aber immer mehr in riskantere Assetklassen getrieben. Und, das ist ein zweischneidiges Schwert. Angesichts historisch hoher Bewertungen an den Aktienmärkten stehen den höheren Ertragspotenzialen entsprechend hohe Rückschlagpotenziale entgegen. Für institutionelle Investoren wird das Investieren zusehends schwerer. Sie müssen sich noch mehr als bisher dem Risikomanagement zuwenden und ihre Strukturen verstärkt für andere Assetklassen, sog. Alternatives, öffnen.

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