Die Realwirtschaft – eine (fast) vergessene Welt
Von Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der auf Risikomanagement spezialisierten Quant.Capital Management GmbH.
Je nach Quelle, hatte die SARS-Krise 2003 das Wirtschaftswachstum in China um über 1%-Punkt reduziert. Und, damals kam die Wirtschaft nicht, wie heute, zum Stillstand. Es überrascht, daher, dass die meisten Analysten für China nur einen kurzen, überschaubaren Effekt durch die aktuelle Krise sehen. So hat S&P gerade die Wachstumsprognose für 2020 von 5,7% auf 5,0% reduziert. Diese Schätzung passt zur Einschätzung der chinesischen Zentralbank. (Zufall?) Die PBOC sagte heute (Freitag, 07.02.2020), sie ginge davon aus, dass der Effekt aus der Krise zeitlich begrenzt sei, ohne negative Auswirkungen auf das langfristige Wachstum. Mit anderen Worten: „Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!“
Warum, ja warum nur, hat die PBOC, angesichts einer angeblich doch recht entspannten Lage, im Laufe dieser Woche über 200 Mrd. EUR an Liquidität in die Märkte gepumpt? Ab Dienstag begannen die großen (staatlichen) Versicherungen, im 2-stelligen Milliarden RMB Umfang Geld in die lokalen Aktienmärkte zu pumpen. Ebenso sollen von hohen Stellen in diesen Instituten Anweisungen an die Asset Manager gegangen sein, keine Netto-Short-Positionen einzugehen. Die großen staatlichen Institute hätten hier eine „besondere Verantwortung“, so ein lokaler Analyst. Immerhin, kurzfristig hat es funktioniert. Die Aktienmärkte in China erholten sich, und auch bei uns gab es Jubel der Erleichterung. Alles gut, also?
Mitnichten bei all dem Fokus, auch der Medien, auf die politisch gesteuerten Kapitalmärkte und deren nominale Entwicklung, gerät der Blick für die reale Wirtschaft für unseren Geschmack etwas aus dem Fokus. Unsere Quellen in China berichten weiter von einer extremen Stimmung des totalen Stillstands. Anders als bei SARS stehen das gesellschaftliche Leben, Schulen und die Wirtschaft in weiten Bereichen still. Und, wo die Maschine nicht läuft, da produziert sie auch nichts. Und, wo nichts produziert wird, kann auch nicht konsumiert werden. Und nein, dieser Effekt lässt sich nicht komplett aufholen. Entgangenes Gehalt führt zu entgangenem Konsum. Neben dem Export als wichtigstem Wachstumstreiber wird auch der Konsum massiv leiden. Die
Realwirtschaft hat da so ihre Tücken.
Die Rahmenbedingungen waren schon zuvor nicht die besten. Das Wirtschaftswachstum hatte sich 2019 trotz Rekordstimulus verlangsamt – auf den niedrigsten Wert seit 30 Jahren. Und nun stehen alle Räder still. Bloomberg hat eine gelungene Visualisierung der Verzahnung der chinesischen mit der Weltwirtschaft erstellt:
https://www.bloomberg.com/graphics/2020-global-economic-impact-of-wuhan-novel-coronavirus/