Die japanische Krankheit – und was wir aus ihr lernen können
Von Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der Quant.Capital Management GmbH, Düsseldorf
Schon seit der Finanzkrise, spätestens aber seit der Eurokrise, als das Thema der hohen Staatsverschuldung virulent wurde, ist die „japanische Krankheit“ ins Bewusstsein der Finanzprofis gerückt. Ausufernde Staatsverschuldung bei zugleich nachhaltig niedrigen Zinsniveaus, damit lebt Japan nun bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Und wir müssen uns hier ebenfalls darauf einstellen.
Vielleicht ist meine Wahrnehmung nicht repräsentativ, aber ich habe das Gefühl, dass oft und intensiv über dieses Phänomen gesprochen wird. Wenn dann ein Bezug zu unserer eigenen Situation hergestellt wird, geht es meist um die Frage, wie nachhaltig hohe Staatsschulden wirken oder ob uns anhand einer ähnlichen Bevölkerungsentwicklung mit einer Überalterung der Gesellschaft langfristig vergleichbare Zustände drohen. Kurzer Einschub: Dies droht nicht, solange wir eine aktive Zuwanderungspolitik betreiben.
So spannend solche Grundsatzdebatten auch sein mögen, sind dies doch in erster Linie politisch-strategische Überlegungen. Für die konkreten Probleme institutioneller Investoren heute sind diese nur bedingt hilfreich. Wir sind aber der Meinung, dass die Parallelen zwischen den Situationen in Japan und in Europa für institutionelle Investoren wichtige Erkenntnisse bergen.
Um das zu konkretisieren, schauen wir uns die Situation des Japanischen Staatlichen Versicherungsfonds GPIF (Government Pension Investment Fund) an. Der GPIF verwaltet ein Volumen von rund 1.205 Mrd. Euro und ist damit einer der größten, wenn nicht der größte, Pensionsfonds der Welt. Für uns ist er ein repräsentatives Beispiel für die Situation langfristig orientierter institutioneller Investoren in Japan.
Der GPIF hielt bis 2014 eine Staatsanleihenquote von rund 60 Prozent im Portfolio. Im Frühjahr 2012 fiel die Rendite zehnjähriger japanischer Staatsanleihen auf unter ein Prozent. Dank der wachstumsorientierten Politik der Abe-Regierung und der Zentralbank fiel diese kontinuierlich bis in den negativen Bereich. Wenn das Zinsniveau dauerhaft um die Null tendiert, führt das zwangsläufig zu Anlagedruck bei den Investoren. Die Frage ist nun, wie schnell Investoren sich der Situation bewusst werden und wie sie darauf reagieren.
Der GPIF hatte 2014 entschieden, die Zielallokation des Gesamtportfolios deutlich chancenorientierter zu gestalten: Der Anteil einheimischer Anleihen, überwiegend Staatsanleihen, wurde von 60 auf 35 Prozent reduziert, die Aktienquote gleichzeitig von 24 auf 50 Prozent erhöht. Zugegeben, die Implementierung einer Zielquote für Aktien von 50 Prozent erscheint extrem, aber die Richtung ist klar: Zinsniveaus bei null Prozent erfordern ein deutliches Umdenken und Umschwenken bei Investoren bezüglich ihrer Anlagepolitik. An dieser Wahrheit dürfte kaum ein Weg vorbeiführen.
Nachdem die 10-Jahres-Rendite in Europa wieder in den negativen Bereich gerutscht ist, müssen sich auch europäische Institutionen langsam mit dem Gedanken anfreunden, dauerhafter in einem Regime extrem niedriger Zinsen investieren zu müssen. Und sie werden entscheiden müssen, was das für die strategische Allokation bedeutet. Wenn wir in den Aktienmärkten aufgrund historisch hoher Bewertungsniveaus mit einem – durchaus ambitionierten – Renditekorridor von vier bis sechs Prozent rechnen, wird klar, dass die Allokation in Risiko-Assets deutlich erhöht werden müssen. Und genau an diesem Punkt sollten wir aus den Erfahrungen des GPIF lernen. Ein Emporsteigen der Risikoleiter erhöht die Renditechancen, aber damit eben auch die Risiken. Entsprechend sind die Quartalsrenditen des GPIF seit 2014 im Durchschnitt deutlich höher, die Portfoliovolatilität aber ebenfalls deutlich angestiegen. Im vierten Quartal 2018 verzeichnete der GPIF schließlich einen rekordträchtigen Verlust von 9,1 Prozent. Wie man dem entsprechenden Quartalsbericht entnehmen kann, war die Aktienallokation den Marktturbulenzen schutzlos ausgeliefert. Wie hätte das ausgesehen, wenn sich die Korrektur zu einem Crash ausgewachsen hätte?
Die Lektion, die es hier zu lernen gibt, ist im Grunde einfach. Wenn langfristig anlegende Portfolien in Zukunft, wie wir annehmen, deutlich chancenreicher aufgestellt werden müssen, dann ist dabei dringend darauf zu achten, dass das mit einem konsequenten Risikomanagement einhergeht. An der „japanischen Krankheit“ sollte keine Rente zugrunde gehen.