Aktienmärkte auf der schiefen Bahn
von Alexander Schroer, CFA, Leiter Portfoliomanagement
Bei der Investition in Aktien muss man mit Kursschwankungen rechnen. Es heißt oft, dass man diese Schwankungen in Kauf nehmen kann, denn wartet man als solider Langfristinvestor nur ein paar Jahre, so stellen sich letzten Endes doch die langfristig erwarteten, positiven Renditen ein. Diese Weisheit möchte ich hier heute hinterfragen. Denn das Timing spielt eine immense Rolle. Gilt zwar der beschriebene Zusammenhang grundsätzlich, so ist doch zu beachten, in welchem Umfeld man sich bewegt. Wer zurzeit Aktien hält oder sich mit dem Gedanken einer Investition trägt, sollte das Bewertungsniveau beachten. Häufig wird bei der Wahl der Allokation, also der Aufteilung auf Assetklassen, für Aktien eine erwartete Rendite von 4-8% unterstellt. Die Aktien sollen also die fehlende Rentabilität von sicheren Anleihen ausgleichen. In der folgenden Abbildung habe ich die historische 10-Jahres-Rendite von US-Aktien (S&P 500 Index) in Abhängigkeit vom Bewertungsniveau zum Investitionszeitpunkt abgetragen.
Es ist zu erkennen, dass, wie zu erwarten, mit einer höheren Einstiegsbewertung die realisierte Rendite fällt (schwarze Linie). Das aktuelle Bewertungsniveau, in dem Aktien mit dem Faktor 33 der um Konjunkturschwankungen geglätteten Unternehmensgewinne bewertet werden, resultiert also gemessen an der Vergangenheit eine erwartete Rendite von ca. -11%. Diese Zahl beinhaltet Dividenden und die Veränderung der Kaufkraft in den jeweiligen 10-Jahres-Perioden. Gemessen wird die USD-Rendite, Währungseffekte für einen europäischen Investor sind nicht enthalten.
Was bedeutet das aktuell?
Neben der Renditeerwartung halte ich es für interessant, sich das Chance-Risiko-Profil anzuschauen. Vergleicht man die maximalen Renditeausprägungen mit den maximalen Verlusten in den betrachteten Zeiträumen, so fällt auf, dass sich dieses Verhältnis mit steigender Einstiegsbewertung drastisch zum Nachteil verschiebt. Überwiegt bei niedrigeren Bewertungsniveaus noch deutlich das Chancenpotenzial (grüne Fläche), gemessen an den maximal erreichten 10-Jahresrenditen, so befinden wir uns aktuell auf einem Bewertungsniveau, bei dem mehr Risiken (rote Fläche, gemessen als max. Verlust nach 10 Jahren) vorhanden sind als Chancen. Das Verhältnis ist gekippt, die Schiefe des Profils wird nunmehr durch die Verlustseite geprägt. Schlimmer noch, musste während dieser 10 Jahre im schlimmsten Fall ein zwischenzeitlicher Verlust von nahezu 80% ausgehalten werden, ehe die Kurse sich etwas erholten auf einen Verlust von ca. 50%.
Würden die meisten Anleger wirklich diese Verlustphase durchhalten? Oder würden sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt aussteigen?
Haben Investoren Mechanismen, um nach definierten Regeln diszipliniert auszusteigen, wenn Verluste steigen? Ist eine (Beibehaltung einer) Allokation in Aktien derzeit überhaupt sinnvoll? Werden Aktienkurse nun fallen?
Ob Kurse fallen, vermag ich nicht zu sagen. Man kann aber festhalten, dass auf Sicht von 10 Jahren beim aktuellen Bewertungsniveau Verluste wahrscheinlicher sind als Gewinne. Möchte man sich Chancen trotzdem offenhalten, sollte man einen Plan haben, mit diesem Risiko umzugehen.
Ich denke, ein Schutzmechanismus vor dem „Verlustpfad“ macht derzeit mehr Sinn denn je.